Jagd auf Verkehrssünder mit Drohne und mehr

Urteil 1C_683/2023: Verfolgungsjagd mit Drohne

Drohnen sind schon lange in der Gesellschaft angekommen. Sie werden für „Dronies“, also Selfies mit Drohne, eingesetzt, stören Badegäste am Traumstrand oder schwirren den Touristen auf der Ski-Piste nach. Neuerdings werden sie auch von der Polizei zur Verfolgung von SVG-Delikten eingesetzt. Und genau daran stört sich der Beschwerdeführer. Ihm wurde wegen einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung von 57.6 bzw. 95.6 km/h ausserorts der Führerausweis vorsorglicherweise entzogen. Seine Fahrt wurde von der Polizei mit einer Drohne aufgenommen. Die Geschwindigkeit wurde anhand des Videos mit einer Weg-Zeit-Berechnung eruiert. Die Strecke mass die Polizei ganz altmodisch mit einem Messrad. Die Dauer der Fahrt errechnete die Polizei anhand der Videoaufnahmen (zur Berechnung E. 3.2). Aus Sicht des Beschwerdeführers wurde der Sachverhalt willkürlich festgestellt. Er bringt vor, dass die Quarzuhr der Drohne für die Zeitberechnung, sowie die Satelliten, mit welchen die Quarzuhr eingestellt wird, nicht vom METAS geprüft und geeicht sind. So verlangt es grundsätzlich Art. 5 der Geschwindigkeitsmessmittel-Verordnung. Auch die Messung einer Wegstrecke mittels Messrad sei nirgends gesetzlich geregelt. Da allerdings bei vorsorglichen Massnahmen nur die Verletzung von verfassungsmässigen Rechten gerügt werden kann (Art. 98 BGG), wird auf die Rügen zur Verletzung von Bundesrecht nicht eingegangen.

Zulässig ist allerdings die Rüge der Willkür. Mit seinen Vorbringen alleine gelingt es dem Beschwerdeführer aber nicht, eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung darzulegen, denn allfälligen Messungenauigkeiten wurden mit Sicherheitsmargen Rechnung getragen. Auch dass das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist, hindert die zuständige Behörde nicht daran, Sicherungsmassnahmen anzuordnen, denn bei diesen greift die Unschuldsvermutung bekanntlich nicht (E. 3.4).

Fazit: Ein Drohnenvideo der Polizei kann also anlass dazu geben, dass ernsthafte Zweifel an der charakterlichen Fahreignung einer Person bestehen.

Urteil 6B_178/2024: Die mündliche Berufungsverhandlung (gutgh. Beschwerde)

In diesem Urteil geht es um eine strafprozessuale Thematik, die die Berufungsinstanzen immer wieder vor Probleme stellt (siehe auch den Beitrag vom 3. Januar 2021). Da dieses Thema hier auch schon gefeatured wurde, machen wirs kurz. Das Berufungsverfahren ist grundsätzlich mündlich und kann gemäss Art. 406 StPO nur in eng begrenzten Fällen schriftlich durchgeführt werden, nämlich grundsätzlich dann, wenn der Sachverhalt nicht umstritten ist. Ist dieser umstritten, müssen für die schriftliche Durchführung eines Berufungsverfahrens folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein (Art. 406 Abs. 2 StPO):

1. Schriftliches Einverständnis der Parteien.
2. Anwesenheit der beschuldigten Person nicht nötig.
3. Urteil eines Einzelgerichts ist Gegenstand der Berufung.
4. Keine Verletzung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

Im vorliegenden Fall teilte die Berufungsinstanz mit, dass das Verfahren mündlich durchgeführt und der Beschwerdeführer vorgeladen werde. Entgegen dieser Ankündigung wechselte die Berufungsinstanz später aber ohne Orientierung der Parteien in das schriftliche Verfahren und fällte ihr Urteil. Damit verletzte es den Gehörsanspruch des Beschwerdeführers sowie den Grundsatz von Treu und Glauben und das Gebot der Verfahrensfairness. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

Falsche Geschwindigkeitsmessung!

Urteil 7B_246/2022: Bitte etwas mehr Reflexion! (gutgh. Beschwerde)

Schnellfahren gehört zur Massendelinquenz im Strassenverkehr. Die pragmatische Rechtsprechung des Bundesgerichts zur Geschwindigkeitsüberschreitung sowie der Schematismus zum Schnellfahren sorgen dafür, dass Beschwerden bei Geschwindigkeitsüberschreitungen regelmässig abgelehnt werden. Umso erstaunlicher ist es, dass es i.c. dem Beschwerdeführer gelungen ist, vor Bundesgericht zu reüssieren. Aus seiner Sicht wurde die Messung falsch durchgeführt, denn auf den Fotos des mobilen Blitzkastens sei eine Reflexion zu sehen, die die Messung fehlerhaft macht.

Im kantonalen Verfahren verlangte der Beschwerdeführer also ein Gutachten darüber, ob die Messung korrekt war und damit auch als Beweis verwertbar. Indem aber die kantonalen Behörden dieses Gutachten nicht einholten, wurde aus Sicht des Beschwerdeführers aber das rechtliche Gehör sowie das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verletzt.

Kontrollen im Strassenverkehr richten sich nach der Strassenverkehrs-Kontrollverordnung (Art. 1 SKV). Bei diesen Kontrollen können technische Hilfmittel, wie eben Blitzkästen bei Geschwindigkeitsmessungen, eingesetzt werden, wobei das ASTRA die Einzelheiten zu diesen Messungen regelt (Art. 9 SKV). Für Geschwindigkeitsmessungen hat das ASTRA die „Weisung über polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen und Rotlichtüberwachung im Strassenverkehr“ vom 22. Mai 2008 erlassen. In Ziffer 6.1 heisst es zum Einsatzort unter anderem:

„Radargeräte sind so aufzustellen und zu betreiben, dass Reflexionsfehlmessungen, verursacht durch metallische Flächen oder Gitter, vermieden werden. Dieser Möglichkeit ist bei der Aufstellung und Wahl der Empfindlichkeit des Gerätes durch die Kontrollperson besondere Beachtung zu schenken.“

Im vorliegenden Fall war erstellt, wo der Blitzkasten stand (E. 3.4.1), das Gerät war geeicht und funktionierte korrekt. Ebenso war die Messung ohne Zweifel dem Auto des Beschwerdeführers zuzuordnen (E. 3.4.3).

Nun kommt aber die Krux zur Reflexion: Der Beschwerdeführer machte zu Recht geltend, dass einer der Polizisten angab, dass die Radarbilder eine geringfügige Reflexion zeigten, die mutmasslich wegen einer Kilometrierungstafel entstanden. Da Reflexionen gemäss den obigen Weisungen zu einer Fehlmessung führen können, verletzte die Vorinstanz das rechtliche Gehör, indem sie auf dieses Vorbringen des Beschwerdeführers nicht weiter einging. Die Beschwerde wird gutgeheissen, damit ein Gutachten Aufschluss darüber geben kann, ob die Messung der Geschwindigkeit fehlerhaft war.

Beispielbild

Beispielbild von hier

Grundsatz der Formstrenge im Strafverfahren und weitere Urteile

Urteil 7B_211/2022: Einstellen oder nicht, das ist hier die Frage (gutgh. Beschwerde).

Dieses strafprozessual ziemlich komplexe Urteil beantwortet die Frage, was passiert, wenn ein Sachverhalt sowohl Übertretungs- als auch Vergehenstatbestände erfüllt, die Übertretungen aber bereits verjährt sind. Darf man dann für das Vergehen noch bestraft werden, wenn der Sachverhalt der Übertretungen in engem Zusammenhang stehen mit jenem des Vergehens? Konkret geht es um das Verursachen eines Bagatellunfalls (Art. 90 Abs. 1 SVG), dem darauffolgenden pflichtwidrigen Verhalten (Art. 92 Abs. 1 SVG) sowie der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Art. 91a SVG).

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Der Beschwerdeführer touchierte mangels Aufmerksamkeit beim Rückwärtsfahren auf einem Parkplatz ein anderes Fahrzeug, wobei Sachschaden entstand. Danach entfernte er sich von der Unfallstelle und trank zuhause Bier und wohl auch ein bisschen Schnaps. Mit Strafbefehl wurde er mit einer bedingten Geldstrafe bestraft. Im gerichtlichen Verfahren wurde die Verjährung der Übertretungs-Tatbestände, also dem Verursachen der Bagatellkollision (Art. 90 Abs. 1 SVG) sowie dem pflichtwidrigen Verhalten (Art. 92 Abs. 1 SVG), festgestellt. An der Verurteilung wegen der Vereitelung wurde aber festgehalten.

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass das Strafverfahren mit der Verjährung der Übertretungs-Tatbestände hätte eingestellt werden müssen. Indem die Vorinstanz dies nicht tat, verletzte sie Art. 329 Abs. 4 und 5 StPO sowie den in Art. 2 Abs. 2 StPO geregelten Grundsatz der Formstrenge. Die Vorinstanz hingegen war der Meinung, dass die Sachverhalte des Unfalles, des pflichtwidrigen Verhaltens und der Vereitelung so eng miteinander verknüpft sind, dass eine Einstellung nicht möglich war. Dies hätte den Grundsatz von „ne bis in idem“ verletzt. Denn wäre bzgl. dem Unfall und dem pflichtwidrigen Verhalten eine (Teil)Einstellung erfolgt, wäre eine Verurteilung wegen der Vereitelung nicht mehr möglich gewesen.

Kann kein Urteil ergehen, muss das Gericht das Verfahren einstellen. Dies ist der Fall, wenn ein Prozesshindernis besteht (Art. 329 Abs. 1 lit. c StPO). Der Eintritt der Verfolgungsverjährung stellt ein solches Prozesshindernis dar und muss von Amtes wegen geprüft werden. Gemäss Art. 329 Abs. 5 StPO kann die Einstellung zusammen mit dem Urteil ergehen, wenn ein beim Gericht hängiges Verfahren nur in einzelnen Anklagepunkten eingestellt werden soll (E. 2.3.1).

Eine Teileinstellung ist aber nur dann möglich, wenn das Gericht mehrere Lebensvorgänge beurteilt, die für sich einer separaten Erledigung zugänglich sind. Wenn es nur um die Beurteilung wegen einem Lebenssachverhalt geht, ist eine teilweise Einstellung nicht möglich. Wegen ein und derselben Tat im prozessualen Sinn kann nicht aus einem rechtlichen Gesichtspunkt verurteilt und aus einem anderen das Verfahren eingestellt werden. Das würde den Grundsatz von „ne bis in idem“ verletzen (E. 2.3.2 und E. 2.3.3). Im Strafverfahren gilt zudem der Grundsatz der Formstrenge, d.h. Strafverfahren können nur nach den von der StPO vorgesehen Regeln erledigt werden (dazu ausführlich E. 2.3.4).

Das Bundesgericht stellt sich auf den Standpunkt, dass entgegen der Ansicht der Vorinstanz die verschiedenen Tatvorwürfe zwar Teil eines übergeordneten Gesamtgeschehens bilden. Trotzdem lassen sich die einzelnen Vorwürfe klar gegeneinander abgrenzen. Zuerst der Unfall, dann das pflichtwidrige Verhalten und schliesslich die Vereitelung durch Konsum alkoholischer Getränke zuhause. Damit wäre wohl eine Teil-Einstellung möglich gewesen. Dies hätte das erstinstanzliche Gericht aus Sicht des Bundesgericht machen müssen. Indem dieses es unterliess, das Strafverfahren bzgl. der verjährten Übertretungen einzustellen, verletzte es den Grundsatz der Formstrenge (E. 2.4.4). Zudem wurde vorliegend auch die Unschuldsvermutung verletzt. Denn bei der Begründung der Vereitelung führte die Vorinstanz aus, dass der Beschwerdeführer den Bagatellunfall schuldhaft verursachte, obwohl er dafür nie rechtskräftig verurteilt wurde.

Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Sache zurückgewiesen. Bei den Übertretungen muss die Vorinstanz das Strafverfahren einstellen. Bzgl. Vereitelung muss sie prüfen, ob eine Verurteilung unter Beachtung des Anklagegrundsatzes und der Unschuldsvermutung noch möglich ist.

Honorable Mentions

Unter dieser Rubrik werden einfach die Urteile aufgelistet, die keine augenöffenden Inhalte bieten. Sie dient bestenfalls dazu, dass man die eigene Urteilssammlung auf den neuesten Stand bringen kann. Es besteht dabei auch kein Anspruch auf Vollständigkeit…

Urteil 1C_482/2023: Abstand

Wer mit auf der Autobahn dem vorfahrenden Fahrzeug bei 90 km/h mit einem Abstand von 20 Metern folgt (entspricht 0.8 s), begeht eine mittelschwere Widerhandlung. Diese wird mit mind. einem Monat Führerscheinentzug sanktioniert. Der Entscheid enhält in E. 2.2 eine gute Auflistung der Rechtsprechung zu verschienen Fällen von Abstandsunterschreitungen.

Urteil 6B_55/2024: Geschwindigkeit

Wer innerorts die Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 28 km/h überschreitet, begeht eine grobe Verkehrsregelverletzung gemäss Art. 90 Abs. 2 SVG. In E. 2.3. äussert sich das Bundesgericht exemplarisch zum allseits bekannten und in der Rechtsprechung fest verankerten Schematismus bei Geschwindigkeitsdelikten. Der subjektive Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG erfordert eine Rücksichtslosigkeit der beschuldigten Person. Diese liegt auch vor, wenn der Täter die gefahrene Strecke noch als Ausserortsstrecke mit einem Tempolimit von 80 km/h kannte und mangels genügender Aufmerksamkeit übersah, dass sich die Signalisation bzgl. Geschwindigkeit auf der gefahrenen Strecke zwischenzeitlich änderte.

Urteil 7B_221/2022: Das Handy am Steuer

Wer während dem Autofahren für ca. 3 Sekunden auf das Handy schaut und die Navigations-App mit dem Daumen bedient, begeht eine einfache Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Abs. 1 SVG) durch Vornahme einer Verrichtung, die die Bedienung des Fahrzeuges erschwert (Art. 3 Abs. 1 VRV). Dieser Entscheid hilft weiter dabei abzugrenzen, wann das Verwenden von Handys beim Autofahren als einfache Verkehrsregelverletzung zu bestrafen ist und wann lediglich eine Ordnungsbusse vorliegt. Eine Ordnungsbusse gibt es z.B. wenn man bei günstigen Verkehrsverhältnissen für zwei Sekunden auf das Handy schaut (vgl. dazu den Beitrag vom 31. Mai 2023 zu Urteil 6B_27/2023).

Charakterliche Fahreignung bei Fahrlehrer/innen

Mit etwas Verspätung widmen wir uns diesem Urteil, welches v.a. für die Gilde der Fahrlehrer/innen spannend ist. Es äussert sich zu den charakterlichen Anforderungen, die die Fahrlehrerverordnung für die Ausübung des Berufes voraussetzt.

Urteil 2C_373/2023: Ein Fahrlehrer auf Abwegen

Der Beschwerdeführer ist Fahrlehrer mit einem reichhaltigen SVG-Lebenslauf. Im Januar 2005 wurden ihm der Führerausweis und die Fahrlehrerbewilligung wegen charakterlichen Mängeln entzogen. Im September 2011 folgte die nächste Sicherungsmassnahme wegen verkehrspsychologischen und -medizinischen Zweifeln an der Fahreigung. Nach der Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis wurde diese erneut wegen der Missachtung einer Alkoholabstinenzauflage im März 2017 entzogen, die Fahrlehrerbewilligung im September 2017. Nachdem der Beschwerdeführer wieder fahrberechtigt war, wurde ihm im Juli 2018 die Anordnung einer verkehrspsychologischen Abklärung in Aussicht gestellt und die Fahrlehrerbewilligung wieder vorsorglich entzogen. Dieser Entzug wurde im Urteil 2C_171/2020 bestätigt.

Im September 2020 unterzog sich der Beschwerdeführer der verkehrspsychologischen Untersuchung, welche ein für ihn negatives Ergebnis ergab. Im Februar 2021 entzog das Strassenverkehrsamt dem Beschwerdeführer den Führerausweis, die Bewilligung für den berufsmässigen Personentransport und die Fahrlehrerbewilligung auf unbestimmte Zeit.

Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, dass das verkehrspsychologische Gutachten auf Grundlage von Art. 27 lit. b FV angeordnet wurde, also zur Prüfung, ob ihm die Fahrlehrerbewilligung dauerhaft entzogen werden muss. Das Gutachten äusserte sich aber auch generell zur Fahreignung i.S.v. Art. 15d SVG, weshalb schliesslich ein Sicherungsentzug nach Art. 16d SVG angeordnet wurde. Darin erblickt der Beschwerdeführer aber eine Verletzung von Bundesrecht, wenn es zunächst nur um seine Fahrlehrerbewilligung ging, aber schliesslich ihm die Fahreignung generell abgesprochen wurde.

Fahrlehrer benötigen eine Bewilligung (Art. 15 Abs. 3 SVG). Die Voraussetzungen dafür sind in Art. 5 FV festgehalten. Die Bewilligung wird in den Fällen von Art. 27 FV unbefristet entzogen, u.a. wenn der Fahrlehrer oder die Fahrlehrerin seine oder ihre Stellung schwer missbraucht hat oder wenn aus charakterlichen Gründen seine oder ihre Lehrtätigkeit den Schülern und Schülerinnen nicht mehr zugemutet werden kann. Dieser Entzugsgrund steht in engem Zusammenhang mit der charakterlichen Fahreignung, die generell für das Autofahren vorausgesetzt ist (Art. 14 Abs. 2 SVG). Fahrlehrer/innen haben gegenüber den lernenden Personen eine Vorbildfunktion und sie sind auf Lernfahrten an der Fahrzeugbedienung beteiligt. Die zuständige Behörde kann für eine Abklärung nach Art. 27 FV im Rahmen der Untersuchungspflicht ohne weiteres ein verkehrspsychologisches Gutachten anordnen (E. 3.4). Es müssen für die Anordnung aber ebenfalls gewissen Zweifel bestehen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass hinsichtlich der Fahrlehrerbewilligung strengere gesetzliche Voraussetzungen zu beachten und höhere Anforderungen an die Fahreignung zu stellen sind, als dies bei normalen Automobilistinnen und Automobilisten der Fall ist (E. 3.5). Daraus folgt, dass die Schwelle für die Annahme von Zweifeln an der Fahreignung bei Fahrlehrer/innen aufgrund ihrer Vorbildfunktion tiefer liegt, als bei übrigen Verkehrsteilnehmern.

Es überrascht nicht, dass das Bundesgericht den Sicherungsentzug bestätigt. Die Anordnung stütz sich auf ein schlüssiges Gutachten und die Vorgeschichte des Beschwerdeführers macht deutlich, dass seine Fahreignung immer wieder zur Debatte stand. Die zuständige Behörde musste sich auch nicht explizit auf einen Grund in Art. 15d Abs. 1 lit. a – e SVG stützen. Die Liste ist nicht abschliessend.

Die Wirtschaftsfreiheit gemäss Art. 27 BV des Beschwerdeführers ist vorliegend ebenfalls nicht verletzt. Auch wenn ein Führerausweis-Entzug auf unbestimmte Zeit ein schwerwiegender Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit darstellt, so geht das erhebliche öffentliche Interesse an einem sicheren Strassenverkehr den privaten Interessen des Beschwerdeführers vor.

Bonus: Urteil 1C_157/2023: Lange Verfahrensdauer

Der Beschwerdeführer fuhr im Juli 2013 ausserorts 30 km/h zu schnell und beging damit eine grobe Verkehrsregelverletzung. Im Januar 2022 (vgl. Urteil 6B_884/2021) bestätigte das Bundesgericht die Verurteilung wegen Art. 90 Abs. 2 SVG, wobei im Strafverfahren festgestellt wurde, dass das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Dies wurde im Strafmass berücksicht.

Im Administrativmassnahmen-Verfahren wurde der Führerausweis für drei Monate entzogen. Der Beschwerdeführer stellt sich u.a. auf den Standpunkt, dass bei einer derart langen Verfahrensdauer von mehr als 10 Jahren auf eine Massnahme verzichtet werden muss, weil diese keine erzieherische Wirkung mehr habe.

Gemäss Art. 16 Abs. 3 SVG darf die Mindestentzugsdauer von Warnmassnahmen nicht unterschritten werden. Vor der SVG-Revision vom 1. Januar 2005 war dies noch möglich (vgl. BGE 120 IB 504 E. 4). Grundsätzlich darf also die Mindestentzugsdauer nicht unterschritten werden, auch wenn das Beschleunigungsgebot verletzt wurde. Offen ist aber nach wie vor, ob bei krassen Verletzungen des Beschleunigungsgebots auf eine Massnahme verzichtet werden kann. In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichts wurde noch kein solcher Fall angenommen (vgl. dazu ausführlich E. 4.1).

Der vorliegende Fall dauerte von der Widerhandlung bis zur Massnahme 10 Jahre und 7 Monate, was gemäss Bundesgericht bedenklich und klar zu lang ist. Allerdings schöpfte der Beschwerdeführer sowohl im Straf-, als auch im Administrativverfahren den gesamten Instanzenzug aus. Die Verfahrensverzögerung im Strafverfahren wurde im Strafmass berücksichtigt, das Administrativmassnahmen-Verfahren ging dann relativ zügig über die Bühne. Daraus schliesst das Bundesgericht, dass vorliegend die Voraussetzungen für einen Verzicht auf die Massnahme nicht erfüllt sind, insb. weil der Beschwerdeführer ein vermindertes Interesse an einem raschen Entscheid hatte, da er sein Fahrzeug weiterhin lenken durfte (E. 4.2-5).

Daraus folgt, dass wohl ein Verzicht auf eine Massnahme nur möglich ist, wenn auch das Administrativmassnahmen-Verfahren eklatant verzögert wird.

Rückblick auf die letzten Wochen des Werkelns unserer Bundesrichter

Nach einer gewissen Down-Time schauen wir zurück, was beim Bundesgericht in Sachen SVG so los war. Die absoluten Blockbuster waren nicht dabei. Dafür dienen die neuen Urteile gut für eine gemütliche Lektüre am Cheminée…

Urteil 1C_340/2022: Da muss man halt die Schulbank drücken

Dieses Urteil befasst sich exemplarisch mit dem Verkehrsunterricht nach Art. 40 VZV und unter welchen Voraussetzungen dieser angeordnet werden kann. Spoiler: Die Hürden sind tief.

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Die Beschwerdeführerin ist innerorts 16 km/h zu schnell gefahren. Diese leichte Widerhandlung wurde wegen den Vorbelastungen mit einem Führerausweis-Entzug sanktioniert. Zudem wurde die Beschwerdeführerin zum Besuch eines Verkehrsunterrichts verpflichtet.

Zunächst stellt sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, dass es sich bei ihrer Geschwindigkeitsüberschreitung um einen besonders leichten und damit nicht zu bemassnahmenden Fall handelt. Ein besonders leichter Fall liegt allerdings nur vor, wenn Verschulden und Gefährdung besonders leicht sind (E. 3.1). Nach dem in der Rechtsprechung entwickelten Schematismus bei Geschwindigkeitsdelikten, besteht aber bei einer Tempoüberschreitung innerorts um 16 km/h immer die naheliegende Gefahr eines Verkehrsunfalles, z.B. mit Fussgängern (E. 3.3), weshalb von einer leichten Widerhandlung ausgegangen werden muss.

Die Beschwerdeführerin möchte nicht am Verkehrsunterricht teilnehmen. Sie kenne die Verkehrsregeln. Nach ihrer Ansicht sei der pädagogische Wert der Nachschulung fraglich und habe hauptsächlich pönalen Charakter.

Gemäss Art. 40 VZV bezweckt der Verkehrsunterricht, dass die betroffene Person durch gezielte Nachschulung zu korrektem Verhalten im Strassenverkehr angehalten wird (Abs. 2). Vorausgesetzt ist, dass die betroffene Person wiederholt gegen das SVG verstossen hat (Abs. 3). Der Besuch des Verkehrsunterrichts kann alleine oder mit anderen Massnahmen angeordnet werden (Abs. 4).

Eine wiederholte Verkehrsregelübertretung liegt schon dann vor, wenn jemand innert kurzer Zeit zweimal gegen Verkehrsregeln verstossen hat. Ob es sich dabei um dieselben oder verschiedene Regeln handelte, ist unerheblich. Die Massnahme muss verhältnismässig sein, also auch dazu geeignet, dass die betroffene Person künftig nicht mehr gegen Verkehrsregeln verstösst. Die Hürden dazu sind aber tief. Der Besuch des Verkehrsunterrichts ist schon dann gerechtfertigt, wenn aus den Umständen geschlossen werden muss, dass der betroffenen Person der Zweck einzelner Verkehrsvorschriften nicht einsichtig ist und sie sich deswegen der Gefahren nicht bewusst ist, die sie durch deren Übertretung für andere Verkehrsteilnehmende schafft (E. 5.1).

Da die Beschwerdeführerin innert sieben Jahren viermal zu schnell fuhr, durfte daraus geschlossen werden, dass die bisherigen Massnahmen keine erzieherische Wirkung zeigten. Aus diesem Grund ist es vorliegend gerechtfertigt, dass die Beschwerdeführerin am Verkehrsunterricht teilnehmen muss, auch weil sie nur beschränkte Einsicht in ihr Fehlverhalten zeigte. Anders kann z.B. ein Fall beurteilt werden, wenn jemand nach zwei Widerhandlungen bereits Einsicht und Reue zeigt. Dann ist ein Verkehrsunterricht als Massnahme nicht mehr nötig, um die betroffene Person zu verkehrskonformem Verhalten zu erziehen (vgl. dazu Urteil 1C_330/2011 E. 4).


Urteil 6B_723/2023: Ein „Nein“ reicht aus

Dieses Urteil befasst sich damit, ab welcher Handlungs-Intensität eine Atemalkoholprobe als vereitelt gilt.

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Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit. Eine Drittperson meldete der Polizei, dass eine offensichtlich angetrunkene Person mit dem Auto von einer Lokalität nach Hause gefahren ist. Als die Polizei später beim Beschwerdeführer zuhause ankam, stand der Fahrzeug vor seinem Wohnhaus. Als die Polizei dann eine Atemalkoholprobe durchführen wollte, verweigerte der Beschwerdeführer diese mehrmals, indem er dazu „Nein“ sagte.

Den Tatbestand der Vereitelung gemäss Art. 91a Abs. 1 SVG erfüllt, wer sich vorsätzlich einer Atemalkoholprobe oder einer anderen Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit widersetzt. In dieser Situation muss die Polizei die betroffene Person auf die rechtlichen Folgen der Vereitelung aufmerksam machen (s. Art. 13 SKV). Sich im Sinne von Art. 91a Abs. 1 SVG zu widersetzen, bedeutet, sich so zu verhalten, dass eine angeordnete Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit zumindest vorerst nicht vollzogen werden kann. Die Tathandlung des Widersetzens kann in einem aktiven oder passiven Widerstand bzw. einer entsprechenden Verweigerung an der Mitwirkung an oder Duldung der Untersuchungsmassnahme bestehen. Auch passiver Widerstand setzt jedoch ein aktives Störverhalten von einer gewissen Intensität voraus. Unter diesen Voraussetzungen kann ein verbaler Widerstand den Tatbestand erfüllen (E. 2.3.3).

Gemäss dem korrekt festgestellten Sachverhalt lenkte der Beschwerdeführer sein Fahrzeug ca. 10 Minuten vor dem Eintreffen der Polizei, womit ein genügender Bezug zum Strassenverkehr bestand, auch wenn die Polizei den Beschwerdeführer erst zu Hause kontrollierte. Als die Polizei die Atemalkoholprobe durchführen wollte, verweigerte der Beschwerdeführer diese, indem er dazu mehrfach „Nein“ sagte. Seine verbale Weigerung, an der Atemalkoholprobe mitzuwirken, war damit von genügender Intensität, um den Straftatbestand von Art. 91a Abs. 1 SVG zu erfüllen (E. 2.7).

Die Beschwerde wird abgewiesen.


Urteil 1C_628/2022: Haare lügen nicht

In diesem Urteil geht es um die Frage, ob gewisse Ungereimtheiten bei der Auswertung einer Haaranalyse deren Verwertung als Beweis willkürlich macht.

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Nach einem Sicherungsentzug im Jahr 2014 wegen einer Alkohol- und Betäubungsmittelproblematik wurde dem Beschwerdeführer die Fahrerlaubnis im Februar 2022 wieder erteilt, unter der Auflage eine Alkohol- und Betäubungsmitteltotalabstinenz einzuhalten. Im Juni 2022 wurde im Rahmen der Auflagenkontrolle eine Haarprobe genommen, welche ergab, dass der Beschwerdeführer Kokain konsumiert habe. Die Fahrerlaubnis wurde daraufhin gemäss Art. 17 Abs. 5 SVG wieder entzogen.

Der Beschwerdeführer bemängelt die Auswertung der Haarprobe als offensichtlich unrichtig. So wurde aufgeführt, dass er das Medikament Concerta einnehme, obwohl er als ADHS-Betroffener Ritalin bekomme. Zudem bemängelt er, dass ihm die Auswertung einerseits eine Alkoholabstinenz attestiere, denn Ethylglucuronid (Stoffwechselprodukt von Alkohol) wurde nicht nachgewiesen. Zugleich ergab aber die Auswertung, dass in seinen Haaren Cocaethylen nachgewiesen wurde, ein Stoffwechselprodukt, dass nur beim kombinierten Konsum von Alkohol und Kokain entsteht. Daraus schliesst er, dass möglicherweise die Haarproben verwechselt wurden.

Motorfahrzeugführer müssen fahrgeeignet sein, d.h. unter anderem frei von Süchten (Art. 14 Abs. 2 lit. c SVG). Nach einem Sicherungsentzug wegen einer Suchtproblematik wird i.d.R. zum Nachweis der Heilung eine mindestens einjährige Kontrollierte Abstinenz verlangt. Vermag eine Person eine Abstinenzauflage nicht einzuhalten, muss die Fahrerlaubnis ohne weitere (verkehrsmedizinische) Abklärungen wieder entzogen werden (E. 2.2). Gutachterliche Haaranalysen sind ein geeignetes Mittel für Abstinenzkontrollen und für Behörden und Gerichte grds. verbindlich, sofern das Abstützen auf ein offensichtlich unrichtiges Gutachten nicht willkürlich ist (E. 3.2).

Der Beschwerdeführer wies nach, dass er gemäss seinen behandelnden Ärzte nicht mit Concerta therapiert wurde. Die Auswertung der Haaranalyse war in diesem Punkt offensichtlich falsch. Da aber Concerta und Ritalin den gleichen Wirkstoff „Methylphenidat hydrochlorid“ beinhalten und dieser sowieso nicht für die Beurteilung der Fahreignung des Beschwerdeführers hinzugezogen wurde, fiel dieser Umstand nicht ins Gewicht. In Bezug auf das Cocaethylen führt das Bundesgericht aus, dass es sich dabei um einen anderen Metaboliten handelt, wie beim Ethylglucuronid. Generell besteht beim Nachweis von Metaboliten in Haaren eine Messunsicherheit von +/-30%. Es ist insofern möglich, dass der Beschwerdeführer Alkohol getrunken hat, dieser aber nicht mehr nachweisbar ist. Es gelingt dem Beschwerdeführer deshalb nicht nachvollziehbar aufzuzeigen, wie das Ergebnis der Haaranalyse widersprüchlich bzw. unhaltbar sein soll (E. 3.4.2).

Alles in allem durfte die Vorisntanz auf die Haaranalyse abstützen, ohne dabei in Willkür zu verfallen.


Urteil 1C_485/2023: Selbstunfall wegen Doppelsehen ist mittelschwere Widerhandlung

Tja, der Titel sagt es bereits, dieser Entscheid befasst sich damit, ob nach einem Selbstunfall wegen einem Doppelsehens wegen Unterzuckerung noch eine leichte Widerhandlung angenommen werden kann oder eben nicht.

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Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen einen einmonatigen Führerausweis-Entzug. Im Mai 2022 erlitt er beim Autofahren einen Rückgang seines Blutzuckerspiegels mit einer anschliessenden Sehstörung (Doppelsehen). Seine Fahrt setzte er dennoch fort. In einem Kreisel streifte er sodann den Rand der Mittelinsel. Bei der Ausfahrt aus dem Kreisel kollidierte er mit einem Bienenpfosten, wo sein Fahrzeug stecken blieb.

Vor Bundesgericht verlangt der Beschwerdeführer in Annahme einer leichten Widerhandlung eine Verwarnung. Es erstaunt nicht, dass das Bundesgericht die Meinung der Vorinstanz schützt, dass die Gefährdung bei dieser Sachlage mittelschwer war. Der Beschwerdeführer fuhr mit seinem Auto weiter, obwohl ihm wegen dem Abfall seines Blutzuckerspiegels unwohl war und er Doppelbilder sah. Trotz seines Unwohlseins setzte er seine Fahrt über eine Strecke von mehr als 250m fort und überquerte dabei noch zwei Fussgängerstreifen, obwohl er ohne weiteres hätte parkieren können. Da die Gefährdung mittelschwer war, musste sich die Vorinstanz auch nicht mehr vertieft mit dem Verschulden des Beschwerdeführers auseinandersetzen. Auch wenn dieses leicht gewesen wäre, wäre trotzdem der Auffangtatbestand der mittelschweren Widerhandlung zum Zug gekommen. Auch seine persönlichen Umstände, dass er z.B. seine ältere Partnerin mit dem Auto herumfahren muss, vermag hier nichts zu ändern (E. 2).

Vorsicht Meinung: Der Beschwerdeführer kann sich mit einem Monat Führerausweis-Entzug glücklich schätzen. Wer trotz Unwohlseins und Doppelsehen nicht sofort anhält und weiterfährt, befindet sich in fahrunfähigem Zustand aus medizinischen Gründen. Es ist deshalb erstaunlich, dass der Beschwerdeführer nicht gemäss Art. 91 Abs. 2 lit. b SVG bestraft wurde. Theoretisch wäre es auch möglich gewesen, dass die Administrativ-Behörde den Sachverhalt rechtlich anders beurteilt hätte. Bei dieser Sachlage wäre die Annahme einer schweren Widerhandlung ebenfalls vertretbar gewesen.

Ihr macht da nicht mit!

Urteil 7B_167/2022: Ausstand einer ganzen Behörde

Der Beschwerdeführer wehrt sich gegen die Verurteilung wegen eines Raserdelikts. Das Obergericht des Kt. ZH ordnete im Verfahren ein Gutachten betreffend die Geschwindigkeitsmessung an. Für die Erstattung des Gutachtens wurden Testfahrten mit dem Originalradargerät auf dem Flughafen Dübendorf organisiert, wofür der Gutachter Mitarbeiter der Kantonspolizei Zürich als Hilfspersonen beizog.

Das passt dem Beschwerdeführer gar nicht. Er ist der Meinung, dass die Polizei ein Interesse daran hat, dass das Gutachten gegen ihn ausfalle und will deshalb, dass die Mitarbeiter der Kantonspolizei Zürich und insb. deren Verkehrsabteilungen in Ausstand treten müssen. Nur so könne eine faire Begutachtung erfolgen. Er beruft sich dabei auf Art. 56 StPO. Die Polizisten hätten aus seiner Sicht ein Eigeninteresse (lit. a) am Ausgang des Strafverfahrens, seien in der gleichen Sache tätig gewesen (lit. b) und es gäbe auch noch andere Gründe für den Ausstand der gesamten Polizei (lit. f). Aus Sicht der Vorinstanz ging es aber nur um die Nachstellung der automatischen Erfassung der gefahrenen Geschwindigkeit durch das Messgerät, worauf Polizisten keinen Einfluss haben. Zudem sei die Mitwirkung der Polizei bei den Testfahrten nachvollziehbar.

Der Beschwerdeführer übersieht in seiner Rüge, dass sich Ausstandsbegehren nur gegen Einzelpersonen, aber nicht gegen ganze Behörden richten können. Wenn man ein Ausstandsbegehren gegen eine Behörde richtet, muss trotzdem ersichtlich sein, welches Mitglied der Behörde konkret befangen sein soll. Bei der Erstellung des Gutachtens waren zudem andere Polizisten behilflich, als jene, die die fragliche Geschwindigkeitsmessung durchführten. Eine Vorbefassung gemäss Art. 56 Abs. 1 lit. b StPO liegt damit nicht vor (E. 3).

Auch ein Eigeninteresse müsste bei einer Einzelpersonen vorliegen, damit ein Ausstandsgesuch erfolgreich sein kann. Die generelle Behauptung, dass die Polizei daran interessiert sei, mutmasslich schlechte Geschwindigkeitsmessgeräte im Einsatz zu halten, reicht natürlich nicht, um ein Eigeninteresse gemäss Art. 56 Abs. 1 lit. a StPO zu begründen (E. 4).

Und schliesslich bestand entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers auch kein anderer Ausstandsgrund gemäss Art. 56 Abs. 1 lit. f StPO. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass die Polizei für die verfahrensleitende Staatsanwaltschaft Aufträge ausführe und deshalb der Anschein einer Abhängigkeit und/oder Parteilichkeit bestehe. Da aber die Kantonspolizisten vom Gutachter als Hilfspersonen herbeigezogen wurden, liegt eine solche Parteilichkeit eben nicht vor. Zudem können Mitglieder von Polizeikorps gemäss Art. 183 Abs. 2 StPO als Sachverständige eingesetzt werden.

Bonus: Parkbusse von CHF 40 aufgehoben

Urteil 7B_205/2022: Nicht genau hingeschaut

In diesem kuriosen Fall wird eine Parkbusse von CHF 40 aufgehoben, weil der Sachverhalt willkürlich festgestellt wurde. Die Zivilperson, welche im oberen Fricktal die Busse ausstellte, sagte vor Gericht aus, dass sie sich die parkierten Fahrzeuge sowie deren Radstellungen ohne Notizen merken könne und deshalb genau wusste, dass der Beschwerdeführer zu lange parkierte. In einem vergleichbaren Verfahren sagte die gleiche Person allerdings diametral das Gegenteil, nämlich dass sie sich nie merke welche Autos wo und wie parkieren würden. Die Akten dieses anderen Verfahrens wurde aber trotz Antrags des Beschwerdeführers nicht beigezogen, damit die Glaubhaftigkeit der Aussagen der die Bussen austellenden Person hätte überprüft werden können. Damit wurde der Untersuchungsgrundsatz verletzt und der Sachverhalt willkürlich festgestellt. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

Endspurt zum Jahresende mit spannenden Bundesgerichtsurteilen

Zum Jahresende hat das Bundesgericht noch einmal Vollgas gegeben und einige interessante Urteile zum Strassenverkehrsrecht veröffentlicht. Einige davon dürften die SVG-Cracks hier weniger überraschen. Als Lektüre ist aber insb. Urteil 1C_550/2022 zu empfehlen, da es sich zu einer interessanten Konstellation im Zusammenhang mit der charakterlichen Fahreignung beim Kaskadensicherungsentzug äussert. Viel Spass beim Lesen und gutes (metaphorisches) Rutschen.

Urteil 1C_550/2022: Der Entzug der Spezialkategorien und die Folgen in der Kaskade

Dieses Urteil beantwortet die Frage, ob ein Entzug der Spezialkategorien F, G und M gemäss Art. 33 Abs. 2 VZV ebenfalls mitzuzählen ist, wenn aufgrund der Kaskade ein Kaskadensicherungs-Entzug ansteht.

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Der Beschwerdegegner blickt auf eine reichhaltige SVG-Geschichte zurück:

25. November 2009 – Geschwindigkeitsüberschreitung – mittelschwere Widerhandlung – Entzug 1 Monat
24. Juni 2013 – Geschwindigkeitsüberschreitung – leichte Widerhandlung – Verwarnung
26. Mai 2014 – Auffahrkollision – mittelschwere Widerhandlung – Entzug 1.5 Monate
11. Oktober 2014 – nicht gesicherte Ladung auf Anhänger von Traktor – mittelschwere Widerhandlung – Zusatzmassnahme zur vorgenannten Massnahme, Entzug der Spezialkategorien F, G und M, Kat. B weiterhin fahrberechtigt.
19. Oktober 2019 – Lenken eines nicht betriebssicheren Traktors – mittelschwere Widerhandlung – Kaskadensicherungsentzug gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG.

Die kantonalen Instanzen hoben den Kaskadensicherungsentzug auf. Dagegen führt das Strassenverkehrsamt Beschwerde beim Bundesgericht. Es stellt sich auf den Standpunkt, dass dem Beschwerdegegner gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG der Führerausweis nun zum vierten Mal wegen einer mittelschweren Widerhandlung entzogen werde, weshalb ein Kaskadensicherungsentzug angeordnet werden muss. Bei diesem besteht sodann die gesetzliche Vermutung der fehlenden charakterlichen Fahreignung gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG. Das Strassenverkehrsamt stützte sich bei seiner Begründung für den Sicherungsentzug auch auf das Urteil 1C_248/2020, gemäss welchem auch Zusatzmassnahmen bei der Anordnung eines Kaskadensicherungsentzugs berücksichtigt werden müssen (E. 4.3).

Der vorliegende Fall unterscheidet sich zum im Urteil 1C_248/2020 behandelten Sachverhalt aber darin, dass vorliegend bei der mittelschweren Widerhandlung vom 11. Oktober 2014 nur die Spezialkategorien entzogen wurden.

Ein (Kaskaden)Sicherungsentzug aus charakterlichen Gründen greift schwer in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person ein. Deshalb darf ein Sicherungsentzug nur dann angeordnet werden, wenn aufgrund des Verhaltens der betroffenen Person klar ist, dass diese auch künftig gegen die Verkehrsregeln verstossen wird. In anderen Worten muss eine Rückfallgefahr bestehen. Nach Ansicht des Bundesgerichts ist Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG so auszulegen, dass die Vorbelastungen nur zu einem Kaskadensicherungsentzug führen können, wenn sie mit einer Hauptkategorie, also z.B. Kat. A oder B, begangen wurden. Denn nur dann kommt der Warnmassnahme „generelle Wirkung“ zu, indem der erzieherische Warnentzug gemäss Art. 33 Abs. 1 VZV über sämtliche Kategorien erfolgt. Im vorliegenden Fall betraf der Warnentzug bzgl. der Widerhandlung vom 11. Oktober 2014 aber nur die Spezialkategorien F, G und M. Weil dabei die Kat. B nicht entzogen wurde, hatte die Massnahme keine „generelle Wirkung“ bzw. nur eine sehr eingeschränkte erzieherische Wirkung, weshalb sie bei der Prüfung eines Kaskadensicherungsentzugs gemäss Art. 16b Abs. 2 lit. e SVG nicht berücksichtigt werden darf.

Die Beschwerde des Strassenverkehrsamtes wird deshalb abgewiesen.

Vorsicht Meinung: Dieser Entscheid ist nur schwierig nachvollziehbar. Denn einerseits stellt sich die Frage, wie diese Rechtsprechung handzuhaben ist, wenn jemand nur im Besitz von Spezialkategorien ist, denn dort hätte ein Warnentzug wiederum „generelle Wirkung“. D.h. theoretisch wäre es möglich, dass eine Person, die nur Spezialkategorien hat, anders behandelt würde, als jene, die noch über Hauptkategorien verfügt. Zudem können Widerhandlungen mit einem landwirtschaftlichen Fahrzeug der Kat. G weitaus gefährlicher sein, als solche mit einem Fahrzeug der Kat. B. Im vorliegenden Fall hat die betroffene Person ohne weiteres bewiesen, dass sie nicht gewillt ist, die Verkehrsregeln einzuhalten. Eine sichernde Massnahme wäre angebracht gewesen.


Urteil 6B_500/2023: Zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit

Dieses Urteil befasst sich mit der Abgrenzung zwischen (eventual)vorsätzlicher und (bewusst) fahrlässiger Tötung nach einem Strassenverkehrsdelikt.

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Der Beschwerdegegner fuhr im September 2021 ausserorts hinter einem anderen Auto her. Als dieses wegen zwei Fussgängern auf der rechten Strassenseite und einem entgegenkommenden Lieferwagen seine Fahrt verlangsamte, setzte der Beschwerdegegner zum Überholen an. Beim Überholmanöver gab es zunächst eine Streifkollision zwischen dem Beschwerdegegner und dem Lieferwagen. Als der Beschwerdegegner wieder auf die rechte Fahrbahn einbog, kollidierte er frontal mit den beiden Fussgängern. Eine Person starb an den Verletzungen. Im kantonalen Verfahren wurde der Beschwerdegegner u.a. wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung, der qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung und Fahren in fahrunfähigem Zustand verurteilt. Dagegen erhebt die Staatsanwaltschaft Beschwerde. Der Beschwerdegegner sei wegen (versuchter) eventualvorsätzlicher Tötung schuldig zu sprechen.

Bei krassen Verkehrsunfällen kann die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und der bewussten Fahrlässigkeit schwierig sein. Eventualvorsätzlich handelt, wer mit dem Eintritt eines Taterfolges – also hier dem Tod eines Menschen – rechnet, aber dennoch handelt, weil man den Taterfolg in Kauf nimmt bzw. sich damit abfindet. Die bewusst fahrlässig handelnde Person rechnet zwar auch mit dem Eintritt des Taterfolgs, vertraut aber in pflichtwidriger Weise darauf, dass der Erfolg nicht eintritt. Ohne Geständnis der beschuldigten Person, muss der Richter anhand der Einzelfallumstände entscheiden, ob der Täter oder die Täterin den Taterfolg billigte. Je grösser die Wahrscheinlichkeit der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen. Der Richter darf vom Wissen des Täters auf den Willen schliessen, wenn sich dem Täter der Eintritt des Erfolgs als so wahrscheinlich aufdrängte, dass die Bereitschaft, ihn als Folge hinzunehmen, vernünftigerweise nur als Inkaufnahme des Erfolgs ausgelegt werden kann (E. 2.3.2). Bei Strassenverkehrsdelikten darf eine eventualvorsätzliche Tatbegehung aber nicht leichthin angenommen werden. Nur in krassen Fällen darf davon ausgegangen werden, dass sich der Täter oder die Täterin gegen das geschützte Rechtsgut von Leib und Leben entschieden hat (zum Ganzen E. 2.3.5).

Im vorliegenden Fall fuhr der Beschwerdegegner in fahrunfähigem Zustand (Art. 31 Abs. 2 SVG) und überholte ein anderes Fahrzeug in waghalsiger Art und Weise (Art. 35 Abs. 3 i.V.m. Art. 90 Abs. 3 SVG). Da er aber zu Beginn des Überholmanövers die Fussgänger auf der Fahrbahn noch nicht erblickte, konnte er nicht vorhersehen, dass sich ein Unfall mit Todesfolge ergeben könnte. Deshalb konnte vorliegend nicht darauf geschlossen werden, dass er erkennen musste, dass ein Unfall mit Todesfolge droht. Insofern kann dem Beschwerdegegner auch nicht angelastet werden, dass er mit dem krassen Überholmanöver den Tod der Fussgänger in Kauf nahm.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird in diesem Punkt abgewiesen.


Urteil 6B_85/2023: Ein Ausweichemanöver als grobe Verkehrsregelverletzung

Wenn man zuwenig Abstand einhält aufgrund eines verkehrsbedingten Anhaltens des vorfahrenden Autos ausweichen muss und einen Unfall verursacht, liegt eine grobe Verkehrsregelverletzung vor.

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Der Beschwerdeführer fuhr nachmittags einem anderen Auto nach. Dieses musste anhalten, um dem Gegenverkehr das Kreuzen zu ermöglichen. Der Beschwerdeführer konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen, wich nach rechts auf eine Wiese aus, touchierte leicht das Heck des vorfahrenden Fahrzeuges, fuhr durch einen Holzzaun in einen Graben und kam schliesslich bei einer Scheune zum Stillstand.

Die kantonalen Instanzen verurteilten ihn wegen grober Verkehrsregelverletzung. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht das hier eine einfache Verkehrsregelverletzung vorliegt. Die sich in diesem Fall stellende Frage ist, ob sich der Beschwerdeführer rücksichtslos verhalten hat und damit den subjektiven Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung erfüllte. Rücksichtslos i.S.v. Art. 90 Abs. 2 SVG handelt der Täter auch, wenn er sich grobfahrlässig verhält. Dies ist auch bei unbewusst fahrlässigem Verhalten möglich. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern. Dieses kann auch in einem blossen (momentanen) Nichtbedenken der Gefährdung fremder Interessen bestehen. Je schwerer die Unfallfolgen, desto eher kann auch von Rücksichtslosigkeit ausgegangen werden, sofern keine besonderen Gegenindizien vorliegen. Allerdings muss die Annahme restriktiv erfolgen und nicht jede Unaufmerksamkeit wiegt automatisch auch schwer (zum Ganzen ausführlich E. 1.2.1).

Im vorliegenden Fall war der Beschwerdeführer nicht aufmerksam (Art. 31 Abs. 1 SVG) und hielt zuwenig Abstand ein zum vorfahrenden Fahrzeug (Art. 34 Abs. 4 SVG). Als Fahrzeuglenker muss man grds. immer genug Abstand haben, sodass man auch rechtzeitig anhalten kann, wenn das vorfahrende Auto eine Notbremsung einleitet (zu diesen beiden Verkehrsregeln ausführlich E. 1.2.2). Bei beiden Regeln handelt es sich um wichtige Regeln. Der Beschwerdeführer wandte seinen Blick seiner Beifahrerin zu und achtete nicht auf die Strasse, obwohl diese relativ schmal war, wegen Blütenstaub rutschig und auch noch Velofahrer unterwegs waren. Unter diesen Umständen liegt entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers keine „normale“ Auffahrkollision vor, die als einfache Verkehrsregelverletzung hätte bestraft werden können. Die durch den Beschwerdeführer geschaffene Gefahr erfüllte ohne weiteres den objektiven Tatbestand von Art. 90 Abs. 2 SVG. Da es im vorliegenden Fall keine besonderen Gegenindizien gab, durfte die Vorinstanz von der objektiv groben Verkehrsregelverletzung auf ein grobfahrlässiges Handeln des Beschwerdeführers schliessen.


Urteil 1C_168/2022: Unfall im Kreisel – Qualifikation der Widerhandlung

Wenn man die Kreiselvorfahrt missachtet und einen Verkehrsunfall verursacht, liegt eine mittelschwere Widerhandlung vor.

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Die Beschwerdeführerin wurde mit einer Busse von CHF 300.00 bestraft, weil sie beim Einfahren in einen Kreisel einen Velofahrer übersah und mit diesem kollidierte. Daraufhin wurde ihr der Führerausweis wegen einer mittelschweren Widerhandlung für einen Monat entzogen. Damit ist sie aber nicht einverstanden und verlangt als Massnahme eine Verwarnung. Aus ihrer Sicht habe man zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass sie beim Einfahren in den Kreisel nur Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Ebenfalls habe man das Fahrverhalten des Unfallgegners nicht mitberücksichtigt.

Die Beschwerdeführerin muss sich anlasten lassen, dass sie beim Einfahren in den Kreisel nicht aufmerksam war (Art. 31 Abs. 1 SVG). Dadurch missachtete sie den Vortritt des sich im Kreisel befindlichen Fahrradfahrers (Art. 41b VRV). Damit diese Verkehrsregelverletzung noch mit einer Verwarnung sanktioniert werden könnte, müsste durch das Verhalten der Beschwerdeführerin lediglich eine geringe Gefahr entstanden sein und ihr Verschulden leicht sein (E. 3.1.2.).

An den im Strafverfahren festgestellten Sachverhalt ist die Verwaltungsbehörde grds. gebunden, in der rechtlichen Würdigung einer Verkehrsregelverletzung ist sie hingegen frei (E. 3.2). Aus diesem Grund kann sich die Beschwerdeführerin nicht darauf stützen, dass sie im Strafverfahren wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung mit einer milden Busse von CHF 300.00 bestraft wurde. Massgeblich für die Administrativmassnahme ist die Gefährdung sowie das Verschulden. Auch wenn die Beschwerdeführerin langsam in den Kreisel gefahren sein sollte, war die von ihr geschaffene und konkrete Gefahr nicht mehr leicht. Der Velofahrer stürzte wegen den Kollision und schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Da damit die Voraussetzungen der leichten Widerhandlung nicht erfüllt sind, kommt der Auffangtatbestand der mittelschweren Widerhandlung zum Zug. Auf das Verschulden wird im Entscheid nicht eingegangen.

Fahreignung bei Ausländern und weitere Urteile

Hallo geschätzte SVG-Nerds
Einige Urteile haben sich seit dem letzten Post angesammelt. Da sich darunter keine absoluten Blockbuster befinden, erfolgt deren Aufarbeitung – wie auch schon – in telegramartiger Kurzzusammenfassung. Die ersten beiden Entscheide zeigen, dass das Strassenverkehrsrecht auch gegenüber ausländischen Staatsangehörigen wirksam ist, deren charakterliche Fahreignung zweifelhaft ist.

Urteil 1C_619/2022: Auch Ausländer müssen Charakter haben

Mit diesem Urteil bestätigt das Bundesgericht, dass die Regeln für Ausweisentzüge auch für Fahrverbote bei Ausländern gelten. So wurde bei einem Italiener, der ein Raserdelikt beging, mehrere Vorbelastungen hatte und sich weigerte, eine Fahreignungsabklärung zu machen, zu Recht eine Sicherungsaberkennung auf unbestimmte Zeit wegen fehlender charakterlicher Fahreignung angeordnet.

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Der Beschwerdeführer ist Italiener, wohnt in Italien und besitzt eine italienische Fahrerlaubnis. Im Mai 2018 fuhr er auf der Autobahn 201 km/h, wofür er wegen qualifiziert grober Verkehrsregelverletzung verurteilt wurde. IM März 2021 wurde die Fahrerlaubnis des Beschwerdeführers für vier Jahre aberkannt, von Januar 2021 bis Januar 2025. Die Wiederzulassung zu Schweizer Strassen wurde von einem positiv lautenden verkehrspsychologischen Gutachten, dem Ablauf der Sperrfrist sowie einem klaglosen Verhalten abhängig gemacht. Der Beschwerdeführer verlangt vor Bundesgericht die Anordnung eines Fahrverbotes von 48 Monaten. Von sichernden Massnahmen, also der verkehrspsychologischen Abklärung, sei aber abzusehen.

Die Verkehrszulassungsverordnung enthält in Art. 42ff. regeln für Motorfahrzeugführer aus dem Ausland. Ausländische Führerausweise werden gemäss Art. 45 Abs. 1 VZV nach den gleichen Regeln aberkannt, die auch für den Entzug von Schweizer Führerausweisen gilt. Entzogen werden dürfen ausländische Ausweise aber nicht, da damit das Territorialitätsprinzip verletzt würde. Die Fahreignung ist eine generelle Grundvoraussetzung für das Führern von Motorfahrzeugen in der Schweiz (Art. 14 SVG). Ist jemandem die Fahreignung – medizinisch oder charakterlich – abzusprechen, muss die Fahrerlaubnis entzogen bzw. aberkannt werden (Art. 16d SVG).

Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass es für die Aberkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis keine genügende gesetzliche Grundlage gäbe und dass die Aberkennung im Widerspruch zu Art. 42 Abs. 3 des
Wiener Übereinkommen vom 8. November 1968 über den Strassenverkehr (SR 0.741.10) stehe, der grds. eine Anerkennungspflicht von ausländischen Führerausweisen vorsehe. Dem widerspricht das Bundesgericht, denn die Norm soll es eben gerade erlauben, Sicherungsmassnahmen gegenüber Ausländern anzuordnen. Da diese nur für die Schweiz gelten, wird auch das Territorialitätsprinzip nicht verletzt. Der italienische Staat kann selber entscheiden, ob er gegenüber dem Beschwerdeführer Massnahmen ergreift oder nicht (E. 4).

Der Beschwerdeführer erachtet die Aberkennung auf unbestimmte Zeit zudem als unverhältnismässig. Er stellt sich auf den Standpunkt, dass bei einem ersten Raserdelikt lediglich eine Warnmassnahme von zwei Jahren angeordnet werden darf. Allerdings widerspricht das Bundesgericht auch diesem Argument. Der Beschwerdeführer ist einschlägig vorbelastet. Innert drei Jahren beging er nicht nur ein Raserdelikt, sondern fünf weitere Geschwindigkeitsüberschreitungen im Bereich einer schweren Widerhandlung. Zudem war der Beschwerdeführer gemäss den Feststellungen der Vorinstanz nicht bereit, bei der Abklärung seiner charakterlichen Fahreignung mitzuwirken. Bei der grossen Anzahl als Widerhandlungen durfte die Vorinstanz ohne weiteres von einer Rücksichtslosigkeit gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. c SVG ausgehen. Die Sicherungsaberkennung war damit ohne weiteres erforderlich und geeignet und die Verkehrssicherheit in der Schweiz zu gewährleisten, auch wenn vorher kein Gutachten eingeholt wurde. Schliesslich durfte für die Wiederzulassung auch ein klagloses Verhalten gefordert werden (E. 5).


Urteil 1C_536/2022: „Das hier ist nicht die deutsche Autobahn!“

Dieser Entscheid befasst sich vorbildlich mit der Bindung der Administrativbehörde an den im Strafverfahren gefällten Entscheid. Ausländer können sich nicht darauf berufen, dass sie nicht gewusst hätten, dass sie sich bereits im Strafverfahren wehren müssen. Der Entscheid äussert sich zudem zum Schematismus bei Geschwindigkeitsdelikten und zur vorsorglichen Aberkennung von ausländischen Führerausweisen.

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Der Beschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger und wohnt auch in Deutschland. Ihm gegenüber wurden schon diverse Fahrverbote wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen angeordnet. Schliesslich wurde seine Fahrerlaubnis wegen einer schweren Widerhandlung im Februar 2022 vorsorglich für immer aberkannt. Wegen dieser jüngsten Geschwindigkeitsüberschreitung wurde der Beschwerdeführer mit einer unbedingten Geldstrafe strafrechtlich verurteilt.

Der Beschwerdeführer rügt zunächst einen willkürlich festgestellten Sachverhalt. Der Blitzkasten habe nicht richtig funktioniert und man sei von einer falschen Höchstgeschwindigkeit ausgegangen. Die kantonale Behörde ging vom Sachverhalt aus, sowie er im Strafverfahren festgestellt wurde.

Zur Bindung nur kurz: Die Administrativbehörde ist grds. an den Strafentscheid gebunden. Nur wenn sie feststellen muss, das der Entscheid im Strafverfahren auf offensichtlich unrichtig festgestellten Tatsachen beruht, muss sie eigene Abklärungen treffen. In der rechtlichen Würdigung eines Sachverhalts hingegen ist die Administrativbehörde grds. frei. Sie muss aber auch hier darauf achten, dass sie den Grundsatz der „Einheit der Rechtsordnung“ einhält, also dass die Massnahme im Administrativverfahren zur Strafe im Strafverfahren nicht total widersprüchlich ist.

In Deutschland werden Fahrverbote (soweit ich weiss) von der Strafbehörde ausgesprochen, also z.B. mit einem Bussgeldbescheid oder einem Strafbefehl. Trotzdem konnte der Beschwerdeführer als deutscher Staatsangehöriger sich nicht darauf berufen, dass er die Schweizerische Dualität der Verfahren nicht kannte und deshalb den Entscheid im Strafverfahren nicht anfechtete. Das Bundesgericht erwartet von Ausländern, insb. jenen die hier beruflich unterwegs sind, dass sie sich zumindest oberflächlich mit den in der Schweiz geltenden Regeln auseinandergesetzt haben. Beim Beschwerdeführer gilt das umso mehr, da ihm gegenüber schon diverse Fahrverbote angeordnet wurden (E. 3).

Der Beschwerdeführer überschritt die Geschwindigkeits-Limite von 60 km/h auf der Autobahn um 36 km/h. Das ist gemäss der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Schematismus ohne weiteres eine schwere Widerhandlung (E. 4).

Und schliesslich erfolgte i.c. die vorsorgliche Aberkennung zu Recht, denn bei einer drohenden Sicherungsaberkennung ist es wegen der Verkehrssicherheit nicht verantwortbar den betroffenen Lenker weiterfahren zu lassen. Bei Sicherungsmassnahmen haben aus diesem Grund Rechtsmittel grds. auch keine aufschiebende Wirkung (E. 5).


Urteil 1C_600/2022: Wiederzulassung zum Strassenverkehr nach Drogensucht

Dieses Urteil befasst sich mit der Verhältnismässigkeit von medizinischen Auflagen, die für eine Wiedererteilung einer sicherheitshalber entzogenen Fahrerlaubnis nötig sind.

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Dem Beschwerdeführer wurde der Führerausweis im Jahr 1995 wegen einer Drogenproblematik (Heroin) entzogen. Nachdem ihm der Führerausweis unter Auflagen im Juli 2015 wiedererteilt wurde, musste die Fahrerlaubnis aber schon wieder im Oktober 2016 entzogen werden, da der Beschwerdeführer Kokain konsumierte und damit gegen die Auflagen verstiess. In der Folge verliefen drei verkehrsmedizinische Begutachtungen für den Beschwerdeführer negativ. Bei jüngsten Abklärung im August 2021 bestätigte die Haaranalyse zwar eine knapp sechsmonatige Drogenabstinenz. Dafür wurde ein übermässiger Alkoholkonsum (35pg/mg ETG) festgestellt. Schliesslich wurde für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis vorausgesetzt:
– Alkohol- und Drogenabstinenz, Nachweis mittels Haaranalyse
– Fortsetzung einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung
– Beibringen eines pneumologisch-schlafmedizinischen Berichts
– Aktuelles verkehrsmedizinisches Gutachten und
– Neue theoretische und praktische Führerprüfung.

Der Beschwerdeführer erachtet einerseits die Begutachtung als willkürlich und andererseits die Voraussetzungen für die Wiederzulassung zum Strassenverkehr als derart unverhältnismässig, dass ihm eine Rückkehr auf die Strassen faktisch verunmöglicht werde. Aus seiner Sicht werde bei ihm zu Unrecht von einer Sucht ausgegangen, die seine Fahreignung gemäss Art. 16d Abs. 1 lit. b SVG ausschliesse.

Der verkehrsmedizinische Suchtbegriff deckt sich nicht mit dem schulmedizinischen. Eine Sucht aus verkehrsrechtlicher Sicht liegt dann vor, wenn jemand soviel „Genussmittel“ konsumiert, dass die Gefahr besteht, dass die Person im Rauschzustand am Strassenverkehr teilnimmt (ausführlicher zum Suchtbegriff E. 2.1.2). Die Kontrolle von Alkohol- und Drogenabstinenzen per Haaranalyse ist ohne weiteres möglich. Ab einem EtG-Wert von 30 pg/mg im Haar gilt ein Alkoholkonsum als übermässig. Die Haaranalyse des Beschwerdeführers ergab bei der letzten Begutachtung einen EtG-Wert von 35 pg/mg. Im Gutachten wird deshalb von einer Suchtverlagerung ausgegangen. Dass der Beschwerdeführer nie alkoholisiert Auto gefahren ist, ist dabei unerheblich. Im Gutachten muss auch nicht der Betäubungsmittel- und Alkoholkonsum unabhängig von einander beurteilt werden, sondern es ist korrekt, wenn die Lebensgeschichte der Betroffenen Person ganzheitlich beurteilt wird. Insofern war das Gutachten schlüssig begründet und damit für die Behörden verbindlich (zu allem ausführlich E. 2).

Nach einer Sicherungsmassnahme erfolgt die Wiedererteilung eines Führerausweises in der Regel mit Auflagen (Art. 17 Abs. 3 SVG). Auflagen müssen dem Einzelfall entsprechen und verhältnismässig sein. Insb. bei der Überwindung von Süchten sind längere Abstinenz-Auflagen ein geeigneter Eingriff in die Grundrechte, um einerseits eine Person wieder am Strassenverkehr teilnehmen zu lassen, aber zugleich auch die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Die im vorliegenden Fall für die Wiederzulassung angeordneten Voraussetzungen sind ohne weiteres gerechtfertigt (zum Ganzen E. 3).


Urteil 1C_219/2023: Der Grundsatz der lex mitior hat auch seine Grenzen

In diesem Fall befasst sich das Bundesgericht mit einem kaskadenbedingt viermonatigen Ausweisentzug. Die Vorbelastung war ein Rechtsüberholen bzw. schwere Widerhandlung. Auch wenn heute Rechtsüberholen in gewissen Fällen milder bestraft wird, kann darauf nicht mehr zurückgekommen werden.

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Der Beschwerdeführer wurde wegen einer einfachen Verkehrsregelverletzung mit einer Busse bestraft. Er hielt auf der Autobahn zu einem vorfahrenden Auto bei 96 km/h lediglich einen Abstand von 18.2 m bzw. 0.68 s. Wegen einer mittelschweren Widerhandlung wurde ihm der Führerausweis entzogen, weil er mit einer schweren Widerhandlung wegen Rechtsüberholens vorbelastet ist.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass seine aktuelle Widerhandlung mittelschwer ist und damit bei einer Vorbelastung mit einer schweren Widerhandlung ein mind. viermonatiger Ausweis-Entzug folgen muss (Art. 16b Abs. 2 lit. b SVG). Er stört sich aber daran, dass seine Vorbelastung, ein als schwere Widerhandlung geahndetes Rechtsüberholmanöver, bei der aktuellen Beurteilung als schwere Vorbelastung gewertet wird und damit zu einer viermonatigen Massnahme führt. Gemäss der neueren Rechtsprechung zum Rechtsüberholen kann ein solches Manöver auch ein Ordnungsbussentatbestand erfüllen und damit nicht massnahmewürdig sein (vgl. BGE 149 II 96).

Der Grundsatz der lex mitior ist auch im Administrativmassnahmen-Verfahren anwendbar (Art. 102 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 StGB). Der Grundsatz regelt, wann ein Gericht (oder im Bereich des SVG auch eine Verwaltungsbehörde) einen bestimmten Sachverhalt nicht anhand des Rechts zu beurteilen hat, das bei Tatbegehung gegolten hat, sondern gestützt auf die im Urteilszeitpunkt geltenden (milderen) Normen. Dem Beschwerdeführer geht es aber nicht um den aktuellen Fall, sondern um die längst rechtskräftige Vorbelastung. Dies sprengt allerdings den Anwendungsbereich der lex mitior. Diese gilt einzig für noch nicht beurteilte Sachverhalte und stellt für sich alleine keinen Revisionsgrund dar. Die Anwendung des milderen Rechts auf sämtliche Vorbelastungen bezeichnet das Bundesgericht als unpraktikabel, da dies faktisch in den meisten Fällen auch gar nicht mehr möglich wäre. Zudem wäre der behördliche Aufwand immens.


Urteil 1C_284/2022: Woher das Haar kommt, ist sekundär…

Dieses Urteil befasst sich mit dem Nachweis einer Trunksucht mittels Sekundärhaare. Diese können ohne weiteres für die verkehrsmedizinische Begutachtung herangezogen werden, sofern sich das Gutachten nicht nur auf die Haaranalyse abstellt.

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Der Beschwerdeführer geriet in eine Polizeikontrolle mit einer Atemalkoholkonzentration von 0.82 mg/L. Seine Fahrerlaubnis wurde daraufhin vorsorglich entzogen und eine Fahreignungsabklärung angeordnet. Die Begutachtung verlief negativ, weil im Beinhaar des Beschwerdeführers ein EtG-Wert von 56 pg/mg festgestellt wurde. Der im Zeitpunkt der Begutachtung kurzgeschorene Beschwerdeführer stört sich daran, dass die Haaranalyse in seinem Fall nicht an Kopfhaar durchgeführt wurde. Er stützt sich dabei medizinische Lehrmeinungen, nach welchen Haaranalysen anhand von Sekundärhaaren nur zurückhalten durchgeführt werden sollten. Nach seiner Ansicht hätte man ihn auffordern müssen, die Kopfhaare wachsen zu lassen. Sekundärhaar eignet sich aus seiner Sicht höchstens für eine Abstinenzkontrolle, nicht aber für die Bestimmung von Konsumationszeitspanne oder konsumierte Menge.

Auch wenn es andere Lehrmeinungen zu Sekundärhaaren gibt, geht der Beschwerdeführer nicht darauf ein, dass gemäss den Empfehlungen der SGRM zur Haaranalyse bei fehlendem Kopfhaar auf Arm-, Bein- oder Brustbehaarung ausgewichen werden kann (E. 2.3). Sofern die Beinhaare mind. 3 cm lang sind, können sie also ohne Weiteres für eine Haaranalyse herhalten (E. 2.4).

Sodann stütze sich die Begutachtung nicht ausschliesslich auf die Haaranalyse. Das Gutachten berücksichtigte auch die weiteren Einzelfallumstände, welche gemäss Rechtsprechung geprüft werden müssen:
– Prüfung der persönlcihen Verhältnisse inkl. Fremdberichte
– Gründliche Aufarbeitung von Trunkenheitsfahrten
– Spezifische Alkoholanamnese
– Umfassende medizinische Untersuchung.
All diese Einzelheiten wurden bei der Begutachtung berücksicht. Schliesslich nützt es dem Beschwerdeführer auch nichts, dass er bis jetzt einen reinen verkehrsrechtlichen Leumund hatte.

Der definitive Sicherungsentzug nach der negativ ausgefallenen Begutachtung wurde also zu Recht angeordnet.

Unsachgemäss gekoppelter Anhänger gibt Führerausweis-Entzug

Urteil 1C_610/2022: Die Krux mit dem Sicherungsseil

Dieses Urteil befasst sich mit der Gefahr, die von einem unsachgemäss montierten Anhänger-Sicherungsseil ausgeht und welche Massnahme in diesem Fall droht.

Der Beschwerdeführer wehrt sich in diesem Fall gegen die Annahme einer mittelschweren Widerhandlung bzw. einen viermonatigen Entzug des Führerausweises. Er fuhr mit einem Personenwagen mit einem Anhänger an eine Kreuzung, an welcher er verkehrsbedingt anhalten musste. Als er wieder losfuhr, riss die ganze Kupplungsvorrichtung vom Zugfahrzeug. Der Anhänger rollte danach über ein Trottoir und kam in einer Hauswand zum Stillstand. Im Strafverfahren wurde davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer den Anhänger korrekt angekuppelt hatte, weshalb ihm diesbzgl. kein Vorwurf gemacht wurde. Vorgeworfen wurde ihm aber, dass er das Sicherungsseil des Anhängers nur um die Kupplung legte und nicht vorschriftsgemäss am Zugfahrzeug befestigte. Der Beschwerdeführer war aber der Meinung, dass er gar kein Sicherungsseil benötigte, weil sein Anhänger über eine Auflaufbremse verfügte und der Anhänger über 1.5 Tonnen wog. Der Streit dreht sich also darum, ob das Sicherungsseil des Anhängers korrekt angebracht bzw. überhaupt nötig war.

In den Verkehr gebrachte Fahrzeuge müssen betriebssicher sein (Art. 29 SVG). Anhänger dürfen nur verwendet werden, wenn u.a. die Anhängevorrichtung betriebssicher ist (Art. 30 Abs. 3 SVG). Vor der Wegfahrt muss man prüfen, ob ein Anhänger zuverlässig angekuppelt ist (Art. 70 Abs. 1 VRV). In der VTS wiederum ist in Art. 189 geregelt, welche Anforderungen an Anhänger gestellt werden. Löst sich ein Anhänger unbeabsichtigt vom Zugfahrzeug, muss die Bremse selbstständig wirken. Davon ausgenommen sind Anhänger unter 1.5 Tonnen (Abs. 4). Solche Anhänger müssen aber mit einer Sicherheitsverbindung zum Zugfahrzeug gesichert werden (Abs. 5).

Der Anhänger des Beschwerdeführers war zwar über 1.5 Tonnen schwer, hatte aber nur eine Auflaufbremse. Diese wirkt nur im Zusammenhang mit einem Bremsmanöver des Zugfahrzeuges. Abgekoppelt wirkt sie nicht. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz sowie einem Merkblatt des TCS zum korrekten Kuppeln von Anhängern stellt das Bundesgericht fest, dass ein Anhänger mit Auflaufbremse stets mit einem Sicherungsseil direkt mit dem Zugfahrzeug verbunden werden muss. Nur so kann verhindert werden, dass ein während der Fahrt abgekoppelter Anhänger unkontrolliert weiterrollt (E. 4.).

Der Beschwerdeführer war sodann der Ansicht, dass das falsche Anbringen des Sicherungsseils eine besonders leichte eventualiter eine leichte Widerhandlung sei. Er begründet dies damit, dass er höchstens im Schritttempo gefahren sei, dass sich das falsche Anbringen des Sicherungsseils in keinster Weise auf den Unfall auswirkte und dass seine ganze Anhängerkupplung schon nach einigen Metern nach dem Verlassen des Privatgrundstücks komplett weggebrochen sei. Dem widerspricht das Bundesgericht. Das unkorrekte Anbringen eines Sicherungsseils birgt in sich bereits eine erhöht abstrakte Gefährdung z.B. für Fussgänger oder Velofahrer. Das Mass der geschaffenen Gefährdung hängt dabei nicht von der Länge der Fahrtstrecke ab, auch wenn die Gefährdung tendenziell zunimmt, je länger man mit unkorrekt angebrachten Sicherungsseil fährt. Vorliegend ging die Vorinstanz zu Recht von einer erhöhten Gefahr gemäss Art. 16b Abs. 1 lit. a SVG aus.

Fazit: Lieber einmal mehr bücken und das Sicherungsseil korrekt am Zugfahrzeug befestigen.

Grobe Verkehrsregelverletzung als „schwere Straftat“ gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO

Urteil 6B_821/2021: Wenn das Rasen in der Familie liegt (tlw. gutgh. Beschwerde)

Dieses Urteil befasst sich mit der Frage, welche Anforderungen an Zwangsmassnahmen wie Hausdurchsuchungen zu stellen sind. Zudem konkretisiert es die Rechtsprechung dahingehend, was im SVG-Bereich eine „schwere Straftat“ ist, welche eine Verwertung unrechtmässig erlangter Beweise trotzdem möglich macht (Art. 141 Abs. 2 StPO), insb. wenn es sich bei der schweren Tat um eine grobe Verkehrsregelverletzung bzw. ein Vergehen handelt.

Der Vater des Beschwerdeführers wurde von der Polizei dabei erwischt, wie er mit einem Motorrad ausserorts die Geschwindigkeit um 79km/h überschritt. Die Staatsanwaltschaft ordnete danach eine Hausdurchsuchung an, bei welcher ein Go-Pro gefunden wurde, auf welcher Video-Aufnahmen diverser SVG-Delikte des Beschwerdeführers gespeichert waren, u.a. auch Raserdelikte. Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, dass die Hausdurchsuchung nicht hätte angeordnet werden dürfen, weil das Raserdelikt seines Vaters erwiesen war und es keinen hinreichenden Anfangsverdacht auf weitere Delikte gab. Die Hausdurchsuchung war aus seiner Sicht eine „fishing expedition“, weshalb die gefundenen Videos nicht als Beweise verwertet werden dürfen. Die kantonalen Instanzen allerdings waren den Meinung, dass Raserfahrten fast immer auf weitere Straftaten schliessen lassen und dass es notorisch sei, dass Raser ihre Fahrten oftmals audiovisuell festhalten, weshalb die Hausdurchsuchung rechtens war.

Eine Hausdurchsuchung ist eine Zwangsmassnahme, weshalb für ihre Durchführung die Voraussetzungen von Art. 197 Abs. 1 StPO erfüllt sein müssen. Insb. ist für die Anordnung ein hinreichender Tatverdacht vorausgesetzt. Hinweise auf eine strafbare Handlung müssen erheblich und konkreter Natur sein, um einen hinreichenden Tatverdacht begründen zu können. Eine reine Vermutung, ein Generalverdacht oder eine Beweisaufnahme aufs Geratewohl genügen zur Begründung einer Hausdurchsuchung jedoch nicht. Werden bei einer rechtmässig angeordneten Hausdurchsuchung Beweismittel gefunden, die auf weitere Straftaten hinweisen, kann ohne Weiteres ein neues Strafverfahren hinsichtlich der Zufallsfunde eröffnet werden (Art. 243 StPO). Bestand allerdings für die ursprüngliche Zwangsmassnahme, i.e. der Hausdurchsuchung, kein genügender Anfangsverdacht, gilt diese als „fishing expedition“. Auf diese Weise erlangte Beweismittel sind grds. nicht verwertbar (zum Ganzen ausführlich E. 1.3).

Um es kurz zu machen: Das Raserdelikt des Vaters des Beschwerdeführers war grds. bewiesen. Es gab keine konkrete Hinweise oder Indizien auf weitere SVG-Delikte. Gemäss Vorinstanz wurde die Hausdurchsuchung aufgrund „unspezifischer Vermutungen“ angeordnet. Das reicht allerdings nicht aus, um „auf gut Glück“ nach Beweisen für weitere SVG-Delikte des Vaters zu forschen. Die Hausdurchsuchung war insofern unrechtmässig und bei den Video-Aufnahmen der SVG-Delikte des Beschwerdeführers handelt es sich somit um „fruits of a poisonous tree“, also grds. nicht verwertbare Beweismittel (E. 1.4). Gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO dürfen Beweise aber trotzdem verwertet werden, wenn damit schwere Straftaten aufgeklärt werden können. In erster Linie kommen bei der schweren Straftat Verbrechen in Frage. Allerdings wird die schwere Straftat nicht abstrakt, sondern an den Umständen des Einzelfalles eruiert. Auch Vergehen können schwere Straftaten gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO sein (E. 1.5.1).

Die sichergestellten Video-Aufnahmen beinhalten div. SVG-Delikte. Der Beschwerdeführer wurde im Strafverfahren u.a. wegen mehrfacher qualifiziert grober, mehrfacher grober Verkehrsregelverletzung sowie dem Fahren ohne Berechtigung verzeigt. Für die qualifiziert groben Verkehrsregelverletzungen (Tempoexzess ausserorts um 62km/h auf einer kurvigen und unübersichtlichen Bergstrasse sowie Tempoexzess innerorts um 57km/h) können die Videoaufnahmen ohne weiteres verwendet werden, da es sich dabei um schwere Straftaten handelt (E. 1.5.3).

Teilweise anders verhält es sich bei den groben Verkehrsregelverletzungen. Eine solche wurde bisher vom Bundesgericht noch nicht als „schwere Straftat“ bewertet. Zwei der Vergehen des Beschwerdeführers hebt das Bundesgericht hervor:

Just nach dem oben erwähnten Raserdelikt (Tempoexzess um 57km/h) überholte der Beschwerdeführer ein drittes Fahrzeug und beendete das Überholen nur knapp vor einem entgegenkommenden Motorradfahrer. Bei einer anderen Fahrt fuhr der Beschwerdeführer in einer unübersichtlichen Rechtskurve vollständig auf der linken Fahrbahn. Wäre ein Fahrzeug entgegengekommen, wäre eine Kollision unausweichlich gewesen. Dabei fuhr er auch ohne Berechtigung. Auch wenn die Vorinstanz diese beiden Manöver als grobe Verkehrsregelverletzung qualifizierte, handelt es sich dabei um „schwere Straftaten“. Zwar unterscheiden sich die Tatbestände von Art. 90 Abs. 2 und 3 SVG hinsichtlich des Ausmasses der Rechtsgutgefährdung. Während die grobe Verkehrsregelverletzung eine ernstliche Gefahr voraussetzt, fordert Abs. 3 das Risiko eines Unfalles mit Todesopfern oder Schwerverletzten. Beide oben genannten groben Verkehrsregelverletzungen hätten aber schlimme Folgen haben können. Bei einer Frontalkollision mit dem Motorradfahrer bzw. einem anderen Verkehrsteilnehmer auf der linken Fahrbahn ist es notorisch, dass es Schwerverletzte oder Tote geben kann. Deshalb betrachtet das Bundesgericht auch diese groben Verkehrsregelverletzungen als „schwere Straftaten“ gemäss Art. 141 Abs. 2 StPO. Die Videoaufnahmen durften also bzgl. diesen Vergehen (und dem Fahren ohne Berechtigung) verwertet werden, nicht aber für die übrigen groben Verkehrsregelverletzungen, weil es bei diesen keine „besonderen Vorkommnisse“ gab (E. 1.5.4).